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  • AutorenbildJan Keller

1/3 aller Operationen sind unnötig

"Vor zweieinhalb Jahren plagten Frau X plötzlich Bauchschmerzen und Verdauungsprobleme. Der Hausarzt stellte erhöhte Entzündungs­werte fest und ordnete eine Computertomografie an. Auf den Bildern waren Schatten im Unterbauch zu sehen. Woher sie stammten, war aber unklar. Die gut 60-jährige Frau wurde in eine Notfallstation eingeliefert. Es folgten wochenlange Untersuchungen, die sie in Panik versetzten.

Schliesslich riet ihr ein Spezialist dringend zu einer Operation und gab ihr einen Termin. Wegen Krebsverdachts müssten Gebärmutter und Eierstöcke entfernt werden, beschied er ihr – obwohl noch nicht alle Unter­suchungen abgeschlossen waren. Als spätere Resultate weniger beängstigend ausfielen, sagte der Arzt, er wolle trotzdem operieren. Die verängstigte Frau willigte ein. «In diesem mehrere Wochen dauernden Alarmzustand konnte ich kaum mehr klar denken», erinnert sie sich. Doch zu Hause kamen Zweifel auf. Der Arzt war in den Ferien und für Fragen nicht mehr zu erreichen. Als sie bei einem anderen Spezialisten eine Zweitmeinung ­einholen wollte, reagierte dieser ungehalten. Er werde seinem Kollegen nicht in den Rücken fallen, war die Antwort.


Am Morgen vor der Operation konnte die Patientin ihre Unsicherheit noch kurz zur Sprache bringen. Doch der Chirurg teilte ihr mit, es sei jetzt zu spät für einen Rückzieher. Beim Eingriff stellte sich dann heraus, dass es sich um ein eingewachsenes Myom gehandelt hatte – eine vergleichsweise harmlose und gutartige Wucherung an der Gebärmutter."


Diese Geschichte, welche am 17.09.2019 im Tagesanzeiger publiziert wurde, ist in ähnlicher Form auch bei JusMed schon häufig gesehen worden; Patienten werden durch Panikmacherei und durch die Ausnutzung des Vertrauensverhältnisses zwischen Arzt und Patient zur Vereinbarung eines Operationstermines gedrängt. Viele Patienten trauen sich trotz Zweifeln gar nicht erst, den gemachten Termin wieder abzusagen, aus Angst und Respekt vor dem "Gott im weissen Kittel". Wenn die Patienten nach einer Zweitmeinung dann doch den Mut finden, den Termin abzusagen, werden Sie mit bösen Drohungen konfrontiert. "Das wird nur noch schlimmer, und wenns dann dringend ist, habe ich vielleicht nicht so schnell einen Termin", heisst es dann.


Solle Fälle klingen fast wie Betrügergeschichten, bei welchen das Opfer durch vorgetäuschte Dringlichkeit zum Kauf eines Ferraris gedrängt wird, den es gar nicht gibt. Leider handelt es sich bei den Tätern jedoch nicht um Akteure einer dubiosen Betrügergruppe, sondern um Leistungserbringer unseres Gesundheitssystems.


Immerhin lässt der Artikel dahingehend auf Besserung hoffen, dass die Problematik der falschen Anreize in unserem Gesundheitssystem bei den richtigen Personen klar als schädlich erkannt wurden: "Bis zu 30 Prozent aller Behandlungen sind überflüssig», sagt Daniel Scheidegger, Präsident der Schweizerischen Akademie für Medizinische Wissenschaften, die die Kampagne "Smarter Medicine" mit der Schweizerischen Gesellschaft für Allgemeine Innere Medizin und anderen Organisationen lanciert hat. Im Rahmen von «Smarter Medicine» sind die verschiedenen medizinischen Fachgesellschaften nun aufgerufen, je fünf ­Behandlungen aus ihrem Fach­bereich aufzulisten, die häufig unnötig wären. Zudem sollen verbindliche Empfehlungen für Ärzte formuliert sowie Patientinnen und Patienten befähigt werden, informierte Entscheidungen zu treffen.




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